Hartmann / Philosophische Grundlagen 1.7.

    Sprachanalyse und Philosophie


    "Wir bedürfen eines Ganzen von Zeichen, aus dem 
    jede Vieldeutigkeit verbannt ist, dessen strenger logischer Form der 
    Inhalt nicht entschlüpfen kann." (G.Frege zur Begriffschrift, 1882)



    Es ist die Sprache, die uns ein bestimmtes Bild der Welt vermittelt, meinte Fritz Mauthner (vgl. Thema 1.6) und weiters, daß sie gleichzeitig ein sehr ungenügendes Mittel für deren Beschreibung sei. Für die problematische Frage nach der Verbindung von Sprache und Welt entwickelt die philosophische Analyse im Übergang vom 19. zum 20.Jh. eine neue Theorie der Beschreibungen, mit der die logische Ausdrucksform in den Vordergrund rückt. Damit wird die Frage, wie wir bei unserer Erkenntnis von Welt zu irgendeiner Gewißheit gelangen können, sprachanalytisch transformiert: welche unserer Aussagen über die Welt sind empirisch sinnvoll und welche nicht? Ziel der entsprechenden Philosophie ist die logische Klärung der vorgefundenen Gedanken – gegenüber einer Produktion von "neuen" Wahrheiten mittels systematischer Entfaltung synthetischer Sätze entsteht aus diesem Motiv die analytische Philosophie des 20. Jahrhunderts.

    Das Erkenntnisproblem erfährt dabei zunächst eine positivistische Umdeutung: allein wirklich sind die Sinneserfahrungen, die gedankliche Abstraktion führt nur zu trügerischen Scheinbegriffen. Philosophie soll sprachlich therapiert werden, die Wissenschaft soll aus Erfahrungselementen neu aufgebaut werden, gereinigt von metaphysischen Vorstellungen. So ist für den hier einflußreichen Ernst Mach (1838-1916) allein das Empfindungsmaterial real.
     

    Mit dem Logizismus Gottlob Freges (1848-1925 - Biographie) verschiebt sich die Frage nach dem Wirklichkeitsbezug von Sätzen – das Problem: die logische Form eines Satzes muß seiner äußeren Form nicht immer entsprechen, sprachlicher Ausdruck und Bedeutung fallen auseinander. Daher wird von Frege ein neues Zeichensystem für logische Verhältnisse entwickelt: die Begriffsschrift (Untertitel: Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens, Halle 1879).

    Eine Seite der Begriffsschrift (GIF 20kb) Im Anschluß an Leibniz' Untersuchung logischer Kalküle und in Konkurrenz zu George Boole (dessen formale Logik 1854 als "Investigation of the Laws of Thought" erschienen war - die Boolsche Binäralgebra bildet die entscheidende Grundlage heutiger Computertechnologie) schlägt Frege hier vor, die Behandlung logischer Fragen über eine formale Sprache durchzuführen, die eine neuartige Nutzung der Ökonomie der zweidimensionalen Schreibfläche vorsieht: 

    "Die Begriffschrift nutzt die zweifache Ausdehnung der Schreibfläche aus, indem sie die beurtheilbaren Inhalte von oben nach unten auf einander folgen läßt, während jeder von diesen sich von links nach rechts ausdehnt. So werden die einzelnen Inhalte von einander deutlich getrennt und doch in ihren logischen Beziehungen leicht übersehbar." 

    Die nebenstehende Abbildung (Begriffsschrift, Seite 66) ist ein Beispiel solch einer logischen Anordnung, die sich immer auch in Sätzen ausdrücken lassen soll. Anders als in Sätzen der Normalsprache könnte die Begriffsschrift jedoch irrtümer und Mißverständnisse verhindern, da die logischen Verhältnisse nicht bloß angedeutet, sondern in einem neuen Zeichensystem präzise fixiert werden. 

    [G.Frege: Über die wissenschaftliche Berechtigung einer Begriffschrift, 1882]
     
     

    Zur Beziehung Sprache - Welt

    Bei Frege bedarf es zur gültigen Aussage über die Welt neben der Prüfung an der Erfahrung eines Mittels, das die "Weichheit und Veränderlichkeit" der Wortsprache korrigiert. Dies setzt statische, gesetzesförmige Beziehungen in der Wirklichkeit voraus. An genau diesem Problem wird Wittgenstein sich in der Folge von Frege (und Russell) reflexiv abarbeiten - können wir solche Gewißheit haben? Lebensformen sind schließlich nicht statisch, hier muß es einen logischen Unterschied geben.

    Der "Wiener Kreis" versucht den Aufbau einer rein logischen Semantik. So gibt es für Moritz Schlick (-1938) eine Strukturtheorie der Sprache, nach der ihre "objektive Sinnstruktur" durch je "subjektive Erlebnisinhalte" aufgefüllt wird. Konsequenz dieser Sichtweise ist dann die Konstruktion einer idealen Wissenschaftssprache, die den linguistischen Rahmen für eine Wissenschaftsreform bildet. Für diese Konstruktion einer neuen Semantik unter Ausschluß "unsinniger Zeichenverbindungen" steht vor allem Rudolf Carnap (Der logische Aufbau der Welt, 1928). Ziel des Ganzen ist eine interdisziplinär angelegte Einheitswissenschaft: über ein Minimum an Begriffen soll die eindeutige Bezeichnung aller Sachverhalte möglich werden. 

    Mit der korrekten Beschreibung elementarer Sinneseindrücke (Elementarsätze) soll jede Wissenschaft beginnen. Das Problem ist nur, woher deren Sprachlogik stammen soll, wenn nicht doch wieder aus der Umgangssprache. Deshalb weicht bei Ludwig Wittgenstein (1889-1951) das Mißtrauen in die Umgangssprache (Tractatus, 1921) in einer späteren Phase (Philosophische Untersuchungen 1958, posthum) der Anerkennung ihrer transzendentalen Rolle. Wenn Sprache täuscht, was ist dann aber mit dem, was über die Darstellungsform der Sprache hinausgeht? Wie können wir nach einer "anderen" Logik suchen? Das ist die treibende Frage für Wittgenstein. Ganz im Sinne Fritz Mauthners sagt er: "Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Sprache." Sein Lösungsvorschlag für philosophische Probleme liegt letztlich im Erkennen des Wesens der Sprache, mit der wir uns diese Probleme machen.

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    Referenzen:
    Allan Janik / Stephen Toulmin: Ernst Mach und die metaphysische Spekulation
    R.Carnap, Die Überwindung der Metaphysik durch die logische Analyse der Sprache
    H.Herring: Logischer Positivismus
    Institut Wiener Kreis