Hartmann / Philosophische Grundlagen 2.5.

    Archäologie der Kommunikationsmedien 


    "2500 Jahre lang haben die Philosophen der westlichen Welt jede Technologie aus der Behandlung von Materie-Form-Problemen ausgeklammert. (...) Die technischen Dispositive haben gleichsam die natürlichen Gewohnheiten der Menschen und damit zwangsläufig Struktur und Funktion der Gesellschaft verändert.(...) Jedenfalls kann man das insoweit annehmen, als alle anderen wichtigen Veränderungen einer Zivilisation mit Veränderungen in den Medien des Transports und der Kommunikation zusammenhängen. Man kann daher auch sagen, daß jede Zivilisation die Keime ihrer eigenen Zerstörung mit sich führt." - McLuhan, 1964


     


    a) Eine Archäologie der Mechanisierung 

    Eine Rekonstruktion der Moderne verlangt nach einer Erinnerung an die zentralen Momente von Produktionsprinzipien, welche die Gegenwart prägen. Sigfried Giedion hat vorgeschlagen, diese Rekonstruktion unter dem Titel einer "Herrschaft der Mechanisierung" vorzunehmen (Giedion 1948). Giedion, der eher ein kunsttheoretisch geschulter Architekturtheoretiker war (er war Generalsekretär des dem Bauhaus nahe stehenden CIAM, Kongress für Neues Bauen), stellte angesichts der neuen Produktionsrealitäten die Frage danach, wie die menschlichen Bedürfnisse sich gegen den Imperativ der Technik behaupten lassen. Im Alltag wird der Mensch von den technischen Mitteln überwältigt, die moderne Physik und auch die Kunst weisen aber schon in die Richtung der Endes der mechanistischen Auffassung. Woraus diese sich zusammensetzt, erforschte Giedion u.a. anhand der Dokumente von amerikanischen Patentämtern. Ähnlich wie die Kunstgeschichtsschreibung beginnt, eine "Kunst ohne Namen" zu beschreiben, wird hier der Prozess der Mechanisierung als Ästhetik und Ideologie der rationalen Moderne jenseits subjektiver gestaltender Akte untersucht. Die anonyme Massenproduktion schreibt ihre eigene Geschichte, die sich über Fragmente von Dingen des Alltags (auch aus Arbeitsprozeß und Lebensstil) zusammensetzen läßt.

    Zeitgenössische Publikationen zur Ideologie der Rationalisierung / Mechanisierung:

       
    • Frank B. Gilbreth: Bricklaying System, 1909

    • (Visuelle Darstellung von Arbeitsvorgängen)
    • Frederick W. Taylor: Principles of Scientific Management, 1911

    • (Wissenschaftliche Betriebsführung)
    • Henry Ford: My Life and Work, 1922

    • (Fliessbandproduktion)
    b) Trade-routes of the mind

    Der zweite Weltkrieg bringt nicht nur eine neue Erfahrung der "Kosten" des technischen Fortschritts, sondern auch viele medientechnische Neuerungen, unter anderem bedingt durch die "Anwendung von Wahrnehmungsgeräten zu kriegerischen Zwecken" und der in der Folge dadurch bedingten Veränderung der Wahrnehmungsgewohnheiten - Der Krieg sorgt für eine neue "Logistik der Wahrnehmung" (Virilio, Kittler). Im gegebenen Zusammenhang interessiert uns im Sinne einer technikzentrierten Medientheorie  jener Perspektivenwechsel, der sich gegen die subjektzentrierte Auffassung von Geschichte und ihre Privilegierung von Geist und Bewußtsein stellt: Technologie prägt die Kultur einer Gesellschaft, beginnend mit der Medientechnologie der Kommunikation und des Transports. Der medientheoretische Akzent verlagert sich dabei von den Begriffen des Transports (Inhalte von A nach B) zu Begriffen der Transformation (Veränderung sozialer und psychischer Verhältnisse und Wahrnehmungen). 

    Zu den Klassikern dieser Form der technischen Medienarchäologie gehört Harold A. Innis. Er prägte in den fünfziger Jahren die Toronto School of Communication, als deren bekanntester Exponent heute sein Schüler Herbert Marshall McLuhan zählt. Hauptaugenmerk wird auf das "environmental technological conditioning" gelegt, also auf Auswirkungen der (Kultur)Technik, die wir nicht bemerken, während wir sie gesellschaftlich anwenden. Sie erschließt sich nicht über die medial dargebotenen Inhalte; diese Archäologie der technischen Kommunikationsmedien folgt daher der Eigenlogik des Mediums. Ihr Untersuchungsfeld ist der Effekt von Medientechniken auf die Formen der sozialen Organisation im Sinne einer technologischen Kulturgeschichtsschreibung. 

    Innis begann als Wirtschaftshistoriker, und analysierte zwischen 1920 und 1940 unter anderem die Geschichte der kanadische Eisenbahn, des Pelzhandels und der Kabeljaufischerei. Dann konzentrierte er sich auf Einfluß und Effekte von Kommunikationsmedien auf die Formen der sozialen Organisation. Waren zuerst "trade-routes of the external world" Objekt der wissenschaftlichen Forschung, so wurden es dann die "trade-routes of the mind" als technologisch fundierte Kulturgeschichte. Medien werden als materielle Träger der Kommunikation verstanden, welche die soziale Welt formbildend und verhaltenssteuernd prägen. Meiden im weitesten Sinne gelten nicht nur als Träger von Inhalten, sondern als Dispositive der gesellschaftlichen Kommunikation und der kulturellen Produktion. Dazu zwei kommunikationstheoretische Werke von Innis: 

      • Empire and Communications, 1950
      • The Bias of Communication, 1951
    Es geht um die Materialität der Kommunikationsmedien sowie um den Einfluß des Kommunikationswesens auf die Kultur des Abendlandes. Die Analysen von Innis eröffnen eine Doppelperspektive: Medien konstituieren Realität und sind selbst Realität. 
    Die verschiedenen Medien werden als historisch und systematisch aufeinander bezogene analysiert. Mediengeschichte wird in imperialen Begriffen erklärt: Zentralisation/ Dezentralisation. Wie prägt Schrift/Schreiben das Denkmuster der Menschen? Wie entstehen Wissensmonopole? Das technische Dispositiv wirkt auf die soziale Sphäre, Fortschritt oder Rückschritt findet nie nur auf einer Seite statt. 

    Kulturtechniken verändern den Menschen; die bereits angesprochene Rede von der neuen anthropologischen Situation (Thema 2.4.) mag übertrieben erscheinen, wichtig ist aber die Alternative zur apokalyptischen Kulturkritik, die immer nur eine Logik des Zerfalls gelten läßt. In diesem Sinne lesen sich die folgenden Sätze aus "The Bias of Communication" fast revolutionär für ihre Zeit: 
     

      "Wir können wohl davon ausgehen, daß der Gebrauch eines bestimmten Kommunikationsmediums über einen langen Zeitraum hinweg in gewisser Weise die Gestalt des zu übermittelnden Wissens prägt. Auch stellen wir fest, daß der überall vorhandene Einfluß des Mediums irgendwann eine Kultur schafft, in der Leben und Veränderungen zunehmend schwieriger werden, und daß schließlich ein neues Kommunikationsmittel auftreten muß, dessen Vorzüge eklatant genug sind, um die Entstehung einer neuen Kultur herbeizuführen." (H.Innis)
       


 
Literatur:

Sigfried Giedion: Mechanization Takes Command, Oxford Univ. Press 1948, deutsch:
     Die Herrschaft der Mechanisiserung, Frankfurt 1982
Harold Innis: Kreuzwege der Kommunikation. Ausgewählte Text, hg. von Karlheinz Barck, Wien 1997

Internet:
Linksammlung zu Harold A. Innis
Continuum - Autralian Journal of Media&Culture - Dialogue with H.A.Innis

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© Frank Hartmann 1999