Hartmann / Philosophische Grundlagen 2.1.

    Übergang: Sprachkritik, Kulturkritik, Medienkritik


    Im 18. Jahrhundert entdeckt sich der moderne Mensch neu, und zwar als erkennendes Subjekt: es sieht sich als solches in einer Welt, die ihm nicht unmittelbar, sondern höchst mittelbar gegeben ist - im mediatisierten Subjekt-Objekt-Schema. Die Reflexion dieser grundlegenden 'Mediatisiertheit' führt zu erkenntnistheoretischen Überlegungen zum Stellenwert und zu den Bedingungen von Denken, von Sprache, und schließlich von Kultur. Diese sind zunehmend skeptisch geprägt.

    Denn nicht nur metaphysische Grundbefindlichkeiten (Raum und Zeit, logische Anschauung) bestimmen das menschliche Dasein, sondern auch Sprache und sämtliche anderen kulturellen Ausprägungen. Es scheint, als müßten wir dauernd kommunizieren, um zu wissen, woran wir sind in dieser Welt.
    Im sozialphilosophischen Sinn sind dies Fragen der Intersubjektivität, und nicht solche der Subjekt-Objekt-Relationen. Doch unsere Kommunikationen verselbständigen sich, ihre "objektivierenden" Produkte - dazu gehören eben auch die Medien - lassen uns wieder daran zweifeln, was wirklich ist.

    Niemand jedoch glaubt heute, wie noch vor hundert Jahren, ernsthaft daran, daß allein eine Reinigung der Sprache eine authentische Wirklichkeit und damit eine "Wahrheit" wiedererstehen läßt. Die Pointe der Sprachkritik (von Mauthner bis Wittgenstein) war ja, daß Sprache ein nur unzureichendes Mittel zur Erkenntnis von Welt darstellt. Wir haben das als moderne Lesart der Erkenntniskritik Kants entschlüsselt, nach der die Welt "an sich" unerkennbar bleibt und die menschliche Erkenntnisleistung eine Welt "für uns" gleichsam konstruiert.
    Damit wird der cartesianische Dualismus (geistige vs. körperliche Welt) einerseits fortgeschrieben, andererseits erhält die Problematik von Objektivität und Subjektivität eine neue Bedeutung. Entscheidend ist aber die spezifisch moderne Sichtweise, daß die Welt nicht das ist, was sie zu sein scheint. Je mehr die Erkenntnis (und ihr Subjekt) als mediales Konstrukt gilt, desto mehr Gewicht liegt auf der Frage nach der grundlegenden 'Vermitteltheit': der moderne Mensch bezahlt seine Freude an der Entdeckung seiner autonomen Subjektivität mit einer Relativierung seiner selbst: der narzißtischen Kränkung, daß seine Realität nicht identisch mit der objektiven 'Wirklichkeit' ist.

    Im Vorfeld der Medienkritik (von Medien ist erst ab den zwanziger Jahren die Rede, und zwar im Jargon der amerikanischen Werbeagenturen) sind es Sprach- und Kulturkritik, die einen genuinen Zugang zur Wirklichkeit insinuieren: sei es durch Reinigung der metaphysischen Begriffe durch empirische Wissenschaft, sei es durch eine Erforschung der 'Eigentlichkeit' des Seins. Noch vor den Medien sind Wissenschaft, Kunst und Religion jene großen Illusionen, die von der Realität - und vor allem von ihren negativen Ausprägungen - ablenken; Sigmund Freud nannte sie die "Ersatzbefriedigungen, die (das Elend der Welt) verringern, Rauschstoffe, die uns für dasselbe unempfindlich machen". Und er beschrieb die moderne Conditio Humana mit treffenden Worten:

    "Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen."
    - Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur, 1929 

    Bedeutet die technische Entwicklung der Medien in diesem Zusammenhang nur eine Steigerung der Verblendungsmöglichkeiten und damit eine Depotenzierung aufklärerisch-emanzipatorischer Hoffnungen? Oder treten wir in eine geschichtlich neue Situation, die mit neuen Techniken auch neue Formen der 'Mediatisierung' bzw der neuen anthropologischen Situation der 'Medienzivilisation' schafft? Das ist, changierend zwischen Apokalypse und Integration, die 'medienphilosophische' Frage des zwanzigsten Jahrhunderts.

    Wir können es wohl nicht dabei belassen, die Medienphänomene im Sinne der Freudschen Prothesentheorie zu fassen. Wir können aber auch nicht naiv das "eigentlich Menschliche" gegen diesen Prozeß der zunehmenden "Mediatisierung" einklagen und versuchen, die Kommunikation gegen die Medien auszuspielen, daraus eine Medienethik abzuleiten, etc. . .
    In den folgenden Vorlesung wird demgegenüber das Projekt verfolgt, den Prozeß der Formierung einer Informationsgesellschaft zu reflektieren, und zwar anhand der Beiträge, die aus der jüngeren Theoriebildung stammen. Die Richtung, die wir dabei einschlagen wollen, ist die der Forderung nach einer die herrschende Technologie ergänzenden Kommunikologie, wie der Medienphilosoph Vilém Flusser das genannt hat.


 
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